Sonntag, 7. September 2008

Besserwisserei

Mediscript konfabuliert - Hier der Kommentar zum sog. "lead time bias" (3/99, Frage 548; CD 3/96-3/06) - entsprechende Fragen kamen in den letzten Jahren öfters vor.
Die Lösung "lead time bias" ließe sich sinngemäß als "systematischer Fehler bezüglich der Laufzeit der Studie" übersetzen. Genau dies lag bei der erwähnten Untersuchung vor: die Laufzeit war systematisch zu kurz gewählt. Erst nach einer längeren Beobachtungszeit ließ sich feststellen, daß die angewandte Screeningmethode zwar die Überlebenszeit verlängert, jedoch nicht die Mortalität gesenkt hatte.

Zum Glück gibts die Wikipedia...
Beim lead time bias handelt es sich um einen Fehler, der bei Studien zur Krebsfrüherkennung eine Rolle spielt. Er beschreibt eine nur scheinbar verlängerte Überlebenszeit bei Vorverlegung des Diagnosezeitpunkts verglichen mit Patienten, die erst nach klinischen Symptomen eine Diagnose gestellt bekommen (...) - d.h. die Diagnose wird früher gestellt, und der Patient lebt nach Diagnosestellung länger, insgesamt besteht jedoch kein Gewinn an Lebenszeit durch Durchführung des Screenings. [habs überprüft]

Krass, oder? Das ist doch typisch für die mediscript-Kommentare - es wird irgendwas zusammengeschrieben, Hauptsache, es klingt gut und "erklärt" die vom IMPP angegebene Lösung. Gut zum Fragen-Auswendiglernen, schlecht, wenn man nicht irgendeine, sondern die richtige Erklärung haben will.

Das könnten wir besser! Wenn uns das IMPP nur ließe (ich hab mal angerufen, sie geben die Fragen nur an Verlage mit tragfähigem Geschäftskonzept heraus).

12 Kommentare:

麦天 hat gesagt…

Der Examen-online-Kommentar (Thieme) ist auch gut und origineller:

„Lead time bias“ hat nichts mit Blei zu tun, sondern mit früherer Erkennung von Krankheiten: Entdeckt man sie früher (und tut sonst nichts), werden sie scheinbar länger überlebt. Die Medizin als Aktionswissenschaft tut aber (fast) immer etwas und führt längeres Überleben dann gerne auf dieses Tun zurück. Früher wurde Syndrom Z zum Beispiel erst im ausgeprägten Stadium erkannt und dann noch ein Jahr überlebt. Heute wird es zwei Jahre früher entdeckt und (dank Therapie Y!) zwei Jahre überlebt, also doppelt so lange. (Ohne Y wären es drei Jahre!)

Der NeuroPJler hat gesagt…

Die sind wirklich faul bei mediscript: ein anderes Beispiel 03/1996 Frage 200 mit Sklerophonie bei systemischer Sklerose. Kommentar mediscript: "das bezeichnet wohl stimmveränderungen"
Richtiger Kommentar wäre, dass dies ein Auskultationsbefund im Rahmen der fibrosierenden Alveolitis und Lungenfibrose ist.
Aber warum richtig nachforschen, wenn man es auch falsch machen kann und dies schätzungsweise 20.000 angehende Mediziner lesen werden.

麦天 hat gesagt…

Krass!

Ich trau mich kaum einzugestehen, dass dieses mediscript-Meme in meinem Hirn bis grad eben fest engrammiert war...

Ich schieb es zumindest mal auf mediscript. Peinlich.

Blöd ist ja, dass es niemanden stört, wenn 20 000 Ärzte in spe irgendeinen Mist auswendiglernen, nicht mal das IMPP :(

Solange nicht zu viele durchfallen, muckt keiner auf. Dabei könnten jedes Jahr tausende von frisch-Ärzten mit viel relevanteren Kenntnisses ihre Karriere starten, wenn man einfach die amerikanischen Prüfungsfragen lizenziert übernehmen würde. Billiger als das IMPP durchzufüttern wärs auch. Aber halt - dann würden ja Arbeitsplätze verloren gehen!

Der NeuroPJler hat gesagt…

ein weiterer Kritikpunkt an mediscript: die Kommentare werden nicht überarbeitet oder aktualisiert (sonst würden ja vielleicht auch mal Fehler auffallen, und wenn es nur Rechtschreibfähler wären). Beispiel: 08/2001 Frage 502: "...neue Antirheumatika (wie z.B. Rofecoxib)...haben fast keine Nebenwirkungen mehr"
Alles klar.

Der NeuroPJler hat gesagt…

noch besser, wenn auch ohne gravierende Konsequenzen: 08/2004 Frage 264, da macht der mediscript Kommentator doch tatsächlich auf einer (nicht besonders hoch aufgelösten) elektronenmikroskopische Aufnahme einer Amyloidose-Niere die beta-Faltblattstruktur der Fibrillen ausfindig.

麦天 hat gesagt…

!?! Boah, das ist bisher das Stärkste... Lass uns weitersammeln und dann nachm Hammerexamen eine Petition beim IMPP einreichen.

Übrigens hab ich die letzten 2 (!) Nächte vom HE geträumt. Erst musste ich es gestern schreiben, obwohl ich doch noch gar nicht alles gekreuzt hatte, heute hab ich mich im Traum über meine Fehler geärgert. Vielleicht schickt mir ja die Vorsähung solche Träume, um mich besser zu motivieren.

Anonym hat gesagt…

Also ich muß sagen, ich bin beeindruckt, wie genau hier die Kommentare gelesen werden.
Zum letzten Kommentar kann ich nur sagen, dass ich mir die Beschreibung von Bildmaterial nie im Detail durchlese. Ich bin nicht sicher, ob mir das weiterhilft.
Ich würde mich freuen, wenn der ein oder andere vielleicht ein paar Kreuztipps für meinen Blog als Kommentar festhalten möchte (stexdose.de). Damit wir auch bei schlechten Bildern die richtige Antwort nehmen :-).
Viele Grüße aus Leipzig und weiterhin viel Erfolg!
Matthias

Der NeuroPJler hat gesagt…

Man muss auch mal die gelegentlichen guten Kommentare einiger weniger mediscript Zuarbeiter loben! Beispielsweise die Gastro-Kommentare im 03/2005 Examen.

麦天 hat gesagt…

Hier mal eine mittlerweile "falsche" Frage des IMPP:

"Welche Impfungen empfiehlt die STIKO im Kindesalter?" [3/99, Nr. 9]

Antwort HBV (immer noch richtig),

Falschantwort damals u.a. VZV - die wird aber jetzt (meist in Kombination mit MMR) empfohlen.

麦天 hat gesagt…

Dass mediscript aber den Kommentar aktualisiert hätte, das zu hoffen wäre verfehlt... :(

Der NeuroPJler hat gesagt…

Ok, jetzt hat mediscript den Bock endgültig abgeschossen, und das schon beim Kommentar zu 08/1998 Frage 332:
"Das Auftreten einer Choreoathetose bei Neuroleptikaeinnahme ist nicht typisch" - wie gut, dass es keine Spätdyskinesien gibt!

麦天 hat gesagt…

Mal was Physikalisches:

Am Fuße eines mehrstöckigen Hauses, ca. 6 m von der Hauswand entfernt, wird eine Frau tot aufgefunden, die in der 9. und obersten Etage wohnte. Es wird "Sturz aus der Höhe "diagnostiziert.
Am wahrscheinlichsten ist folgender Hergang:

A suizidaler Sprung in die Tiefe
B Unfall durch Ausrutschen auf der Trittleiter beim Fensterputzen
C Tötungsdelikt durch plötzliches, für das Opfer überraschendes "Hinausdrängeln"über die Fensterbank bei geringer körperlicher Überlegenheit des Täters
D Hinausschieben der toten Frau über das Fensterbrett durch einen ernüchterten "Zechkumpan", nachdem die Frau in der vorangegangenen Nacht nach einem Trinkgelage an einer Alkoholvergiftung gestorben war
E Unfall durch barfüßiges Ausgleiten auf dem Fensterbrett bei Balanceakt im LSD-Rausch

Hier der Kommentar:

An der langen Vorgeschichte ist wichtig, dass keine Kampfspuren abgrenzbar sind.
 
(A) Mit obiger Angabe vom Fehlen jeglicher Kampfspuren, ist ein suizidaler Sprung in die Tiefe am wahrscheinlichsten.
(B) Gegen einen Unfall durch Ausrutschen auf der Trittleiter beim Fensterputzen spricht der 6 m von der Hauswand entfernte Leichenfund. Wäre die Frau ausgerutscht, würde sich die Leiche wahrscheinlich näher zur Hauswand hin befinden. Außerdem würde man in der Angabe sicherlich die Trittleiter finden.
(C) + (D) Mit sehr viel Fantasie wären das im entferntesten Sinne mögliche Antworten, für die aber jeglicher Hinweis in obiger Beschreibung fehlt.
(E) Mit viel Fantasie wäre diese Antwort ebenfalls möglich, aber auch dort fehlt jeglicher Hinweis in der Angabe.
 
Der Kommentar ist mühsam zusammenkonfabuliert, wo man mit geringen Physikkenntnissen und der Formel s=1/2at² herausfinden kann, dass die Frau nur gut 2s gebraucht haben kann um die 8-9 Stockwerke zurückzulegen. Damit muss sie eine Geschwindigkeit von fast 3m/s in der Waagrechten gehabt haben, um 6m entfernt aufschlagen zu können, was ca 10 Km/h entspricht. Damit fallen die Lösungen B-E weg.

(Ich gebe zu, dass ich das alles auch erst nach Lesen des dämlichen Kommentars gerechnet hab - das kann man ja auch mit gesundem Menschenverstand lösen. Schade nur, dass der mediscript-Kommentator an dessen Stelle seine Phantasie gesetzt hat. LSD?)