Dienstag, 1. Januar 2008

Auges PJ-Erfahrungen, Teil II

Nach dem Augetertial zog die Heldin des letzten Berichts auf der Suche nach besseren PJ-Bedingungen nach Kanaan, über unsere Südgrenze hinweg:

Also. Die Schweiz an sich ist schon cool. Schokolade schmeckt besser als bei uns, die Landschaft ist schöner, die Kühe sind hübscher und der Käse ist unschlagbar. Die Wochenenden hier zu verbringen und Sachen zu unternehmen war echt gut! Die Schweizer an sich sind meistens nicht so freundlich. "Wenn Sie nicht wissen, was genau für Blätter ich um ihre Rosen machen soll, kann ich Ihnen auch nicht helfen." war die antwort, als ich die Blumenverkäuferin gefragt habe, ob sie nicht ein bisschen Grünzeug um die Blumen machen könne. Aber was genau das für Grünzeug aus dem Topf sein sollte, wusste ich nicht. Das ist ihr job und nicht meiner, zu wissen, welches Grünzeug sich am besten als Deko eignet. Naja. Die bei der post sind auch so drauf. Aber es gab auch nette Schweizer.

Der Chirurgie-Oberchef stellt immer wieder klar, wie familiär doch die Beziehung gerade zwischen Mitarbeitern in der Schweiz sei. Nicht wie in Deutschland, wo sich die Oberärzte siezen. hier undenkbar. Dass dann die Assistenzärzte während einer OP mit: „bist du ein Autist oder was?" angeschrieen werden (das Wort Autist wird dann während der gesamten op fünfminütig wiederholt) gehört anscheinend zum familiären Klima. Muss man sich das mit Mitte Dreißig noch antun, so angeschrieen zu werden? Anscheinend schon. Ein Oberarzt hat sich angewöhnt, sich mit den anscheinend so langsamen Unterassistenten (z. B. ich) ganz einfach und klar auszudrücken: HALTEN HALTEN HALTEN! (= halte doch bitte mal den Haken) oder RAUS RAUS RAUS! (= du kannst schon gehen) oder NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN!( = variable Bedeutung).
Meine PJ-Zeit hier lässt sich in drei Phasen einteilen: Phase 1: sechs Wochen Stationsalltag und OP. Wir waren eindeutig zu viele. Es gab Tage, an denen saß ich 10h lang im Arztzimmer herum und starrte vor mir auf den Fußboden. Keine Aufnahme, zu wenig OPs, als dass alle hätten assistieren können. Nach hause gehen konnte ich nicht, da alle halbe Stunde doch mal ein Laborwert nachzuschauen war, oder ein Zettel von A nach B zu tragen war und ich daher in diesem Arztzimmer unersetzlich war. Lernen konnte ich auch nicht, da ständig die Türen klapperten oder die sich langweilenden Assistenzärzte bei youtube die neuesten Videos anschauten (aber wehe ein Uhu (= Unterassistent) macht das). Man ertrug also die schlechte Laune der Assistenzärzte, die sich ja nicht als Autisten sahen und ich litt unter dem Bore-out-Syndrom - darüber steht sogar was im Spiegel.
Gut. Dann kam Phase 2, meine zeit in der Notaufnahme. Die sollte nicht nur spannend werden, hier lerne man was und vor allem dürfe man nähen! so die Vorankündigung.
Also. Der Dienst war schon mal nur 7 h lang. Der Vormittagsdienst unterschied sich sehr von dem Nachmittagsdienst. Der Vormittagsdienst: hier waren 2 Ärztinnen, die ich noch nicht kannte. Beide ganz klein, dünn und zickig (sorry für alle kleinen und dünnen Leserinnen). Beide waren immer mega gestresst: "Oh Gott, die Notaufnahme ist voll und wir sind völlig überfordert" kam schon, wenn 2 Patienten da waren. Vormittags war fast nie was los. Der Freund der einen hat wohl gerade Schluss gemacht und sie war echt schlecht drauf deswegen. Die andere hat glaube ich immer schlechte Laune. Wenn also ein Patient kam, stürzten sich die beiden gleich auf ihn und ich durfte dann den Sonowagen anfahren und Briefe schreiben. Aufregend! Der Nachmittagsdienst wird von zwei schon älteren Assistenzärztinnen geleitet, die ein bisschen langsam, aber immerhin gut gelaunt sind. Meine beiden Highlights fanden auch am Abend statt. Ich war schon schlecht gelaunt (irgendwie ansteckend), weil ich in meiner letzten Woche immer noch nichts genäht hatte, da kam eine Frau aus der Psychiatrie, die sich mit einer Schere im Bastelkurs 30 10cm lange Schnittwunden an den Beinen zugefügt hatte. Die eine ältere meinte, jetzt komme ich zum Zuge, wir Frauen können das ja, das Nähen ist so eine Frauensache und wies mit dem Finger auf die Tür zum Arztzimmer, wo sie eine Postkarte mit der Aufschrift „Frauenpower" hingeklebt hatte. Ich habe mich tatsächlich gefreut und fast 2 h lang ganz ordentlich alle wunden wieder zu genäht. Das zweite Highlight war ein Typ, der gerade von seiner Ungarnreise wiederkam und eine "biberli" (=Pickel) an seinem besten Stück hatte. Ich habe dann die Blickdiagnose Syphilis gestellt und sie hat sogar gestimmt. Auf seine Sexualanamnese gehe ich hier nicht weiter ein.
In der Phase 3 war ich eine Woche auf Ortho- und 2 Wochen mit nur drei Leuten auf Station. die weitaus beste Phase von den dreien. Ortho hat Spaß gemacht. Auch wenn mich der Chef mit den Worten begrüßt hat: was, nur eine Woche? Da stören sie uns ja nur und ihnen bringt das auch nichts! Ich habe gemeint, mal was anderes zu sehen könne nie schaden. Er erwiderte, da könnte ich auch ins Berner Oberland fahren, das ist ja auch was anderes. In den letzten Stationswochen hatte der Oberchef urlaub, da war alles entspannter und es gab gut zu tun. Ich kippe bei OPs nicht mehr um, dass ist ganz gut, aber dafür fange ich jetzt immer an zu kotzen. Ich bin schon Primperan-abhängig, um die OPs durchzustehen. Ich denke, dass ist auf jeden Fall psychosomatisch. Zum glück beginnt der Würgereiz erst im OP und nicht schon, wenn ich den Patienten aufnehme. Bleibt also noch zu hoffen.